Lufthanseat - Mitarbeiterzeitung der Lufthansa /19. Oktober 2001 /Nr. 916 - Seite 2

 

In der Krise
ist Verdrängen
gefährlich

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Vortrag von Luftfahrtpsychologe Reiner Kemmler
über die Bewältigung seelischer Belastungen

Wer einer Extremsituation ausgesetzt war, hat meist schwer mit der damit verbundenen seelischen Belastung zu kämpfen. Aus Anlass der schrecklichen Terroranschläge in den USA zeigt Reiner Kemmler, leitender Referent Luftfahrtpsychologie, in einem Vortrag die typischen Verhaltensmuster auf und zeigt Auswege aus einer solchen Krise.

Der Vortrag "Folgen extremer Belastung und ihre Bewältigung'! soll in erster Linie helfen, das eigene Verhalten oder das von Mitmenschen, die einer extremen seelischen Belastung ausgesetzt sind, besser verstehen zu können. Denn das Erkennen der zugrundeliegenden Verhaltensmuster ist Basis für die Bewältigung der Krisenfolgen.

Viele Menschen haben nach einer Extremsituation das Gefühl, sich "gestört" zu verhalten. "Aber wir reagieren normal- die Situation ist anormal!", betont Kemmler. Ganz natürlich sei daher auch der Versuch, einen traumatischen Vorfall und dessen Konsequenzen zu verdrängen.

In seinem Vortrag erläutert unser Chefpsychologe unter anderem den natürlichen Reaktionskreislauf bei Menschen in Krisensituationen und beschreibt mögliche Auswirkungen der Verdrängung wie zum Beispiel Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben, Aggressivität oder gar Alkohol- und Drogengebrauch.

Es sei gefährlich, Verdrängung als einen Ausweg aus einer Krisensituation zu sehen. Kemmler rät deshalb: "Lassen Sie Emotionen zu. Trauern Sie. Lassen Sie Eindrücke der Situation an sich heran. Denken Sie darüber nach, was Sie bedrückt und reden Sie darüber!"

Einen ersten Schritt in diese Richtung bietet den Besuchern des Vortrags die anschließende Gesprächsrunde, wo ein Austausch über die eigenen Erlebnisse möglich ist. Dem Fliegenden Personal rät Kemmler weiterzufliegen. Die Flugbegleiterinnen Monika Dahlke de Salcedo und Stefanie Kowski können diesen Ratschlag nur unterstreichen. Sie hatten am 15. September, gleich nach der Wiedereröffnung des Luftraums, Dienst. Flugziel: New York. "Ich war froh, dass ich das sofort hinter mich gebracht habe. Ich glaube, es wäre mit der Zeit viel schwieriger gewesen, wieder zu fliegen", erzählt Monika Dahlke de Salcedo. Der Vortrag habe ihr sehr geholfen. "Für mich war es eine Bestätigung, dass ich nach wie vor normal denke und handle und all diese Reaktionen brauche, um die Ereignisse zu verarbeiten." Ihre Kollegin Stefanie Kowski fand es gut, dass der Konzern so etwas geboten hat. Besonders positiv war für sie die Gesprächsrunde. "Es hat mir sehr geholfen zu wissen, dass sich auch andere darüber Gedanken machen. Man merkt dann, dass man nicht allein ist." red